Frei nach Marlene Dietrich und ihrem Anti-Kriegs-Song frag ich mal, wo sind denn die deutschen Tugenden geblieben? Sind die am Abnibbeln oder bereits ausgestorben? Ist das Wort Tugend überhaupt noch im alltäglichen Sprachgebrauch vorhanden oder steht es längst auf der Roten Liste der bedrohten Worte unserer deutschen Sprache? Vielleicht verhält es sich mit ihnen wie mit Maikäfern, Bienen und allen bedrohten Tieren und Pflanzen, die auf dem absteigenden Ast sind und lange Listen füllen.
Herr Konrad Duden – erst Lehrer dann Rechtschreibpapst und Erklärbär unserer Sprache – hat das Wort Tugend u. a. so beschrieben: Tugendhaftigkeit ist eine sittlich wertvolle Eigenschaft!
Aha! Damit hat er schon alles gesagt, was in unserem Kulturkreis wichtig ist. Aus. Bums. Ende. Soweit so gut!
Doch wie es sich für einen preußisch-deutschen Gymnasiallehrer gehört, beleuchtete er die vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm I propagierten Tugenden näher und schrieb sie in einem Buch nieder. Somit haben sich beide über die Zeit gerettet – sowohl Herr Duden als auch die royalen Moralvorschläge.
„Noch heute gelten Fleiß, Höflichkeit, Gerechtigkeit, Ordnung, Pünktlichkeit und Toleranz als Tugenden der Deutschen“ – so kann man es zumindest bei Wikipedia anno 2016 lesen. Und diese Begriffe gelten noch immer! Die Frage ist nur: wer hält sich dran?
Wie steht es mit dem Fleiß? Viele Deutsche arbeiten bis zum Umfallen. Etliche lassen aber auch den lieben Gott nen guten Mann sein und ihr Dasein wird von Vater Staat – also vom arbeitsamen und fleißigen Steuerzahler – finanziert. Wozu gibt’s Sozialhilfe, Hartz IV und jede Menge andere Abzockmöglichkeiten, um in der sozialen Hängematte gemütlich und bequem zu schaukeln?
Das Wort Fleiß ist gleichzusetzen mit arbeitsam, unermüdlich, strebsam, zielgerichtet, eifrig, emsig – eben fleißig wie die Bienen! Die Älteren unter uns erinnern sich gewiss an diese Begriffe, die viele heute nicht mehr kennen.
Und die Höflichkeit? In Zeiten des übermächtigen Internets mit facebook, twitter und Co. scheint die Tugend Höflichkeit nicht mehr zeitgemäß. Öffentliche Beschimpfungen und Shitstorms haben ihr den Rang abgelaufen – so scheint es jedenfalls. Noch unsere Eltern brachten uns bei, danke öffnet alle Türen und bitte hält sie offen – oder war’s umgekehrt? Ist eigentlich schnuppe. Bedenklich ist nur, dass diese beiden Zauberworte – also danke und bitte – ziemlich out sind, sagen Kenner der Szene und erzählen vom stetigen Verfall der gebotenen Höflichkeit im Umgang mit anderen Menschen.
Beim Begriff Gerechtigkeit will ich an die oft zitierte „soziale Schere“ erinnern. Diese driftet laut diverser Studien kluger Wissenschaftler immer mehr auseinander. Auf den Punkt heißt das: die Mittelschicht bröckelt kräftig wie die Insel Sylt oder der Kreidefelsen von Rügen. Die Reichen werden immer reicher und die Armen pfeifen auf dem letzten Loch, sofern sie überhaupt noch die Kraft zum Pfeifen haben!
Noch eine Anmerkung zum Begriff Gerechtigkeit, denn dazu gehört schließlich auch die Steuergerechtigkeit. Nicht wenige Mitbürger schummeln sich am Finanzamt vorbei – frei nach dem Motto: spare in der Schweiz oder in anderen Steuerparadiesen, dann hast du in der Not! Steuersünder-CDs sind die Renner unserer Zeit. Wer eine solche dem Fiskus zuspielt, kann sich über einen stattlichen Kontozuwachs freuen, auch wenn er diese Daten selbst illegal beschafft hat.
Eine weitere Kategorie ist die Ordnung, ohne sie lief in Preußen nichts! Ordnung herrschte im gesamten Staat, im Beamtentum, auf dem Kasernenhof, in den Schulen, in den Familien – einfach überall. In Preußen herrschte Zucht und Ordnung – so wurde es überliefert, hat sich aber leider nicht bis heute erhalten! Derzeit sollen in einigen deutschen Behörden chaotische Zustände herrschen, die von geordneten Verhältnissen meilenweit entfernt sind – wird berichtet. Vielerorts fehlen uniformierte Ordnungshüter bei den Polizeibehörden, anderswo sind Polizisten da, aber keine Dienstfahrzeuge, mit dem sie das Hüten der Ordnung wahrnehmen können.
Ebenso knüpfte sich die Pünktlichkeit ganz fest an das tägliche Leben im einstigen Königreich. Die Turmuhr war genauso verlässlich wie die Postkutsche, der Nachtwächter und das Läuten der Kirchenglocken.
Und heute? Ordnung und Pünktlichkeit im deutschen Staat werden anders buchstabiert, das gesamte Land hat sich verändert und das, was noch vor zehn oder fünf Jahren zu den Werten und Tugenden unseres Landes gehörte, nimmt mehr und mehr ab. Mit der Pünktlichkeit nimmt man es auch nicht mehr so genau. Das führt uns die Deutsche Bahn mit Verspätungen und Unpünktlichkeit täglich vor Augen.
Neulich gab es in Frankfurt auf dem Bahnhof folgende Durchsage: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Weiterfahrt nach Bremen kann leider nicht pünktlich erfolgen. Der Zugführer, der diesen Zug eigentlich jetzt übernehmen soll, steckt in einem anderen Zug fest und der hat eine Verspätung von einer halben Stunde! Wir bitten um Ihr Verständnis.“
Pünktlich wie die Maurer, auf den Gongschlag pünktlich, Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige sind Redensarten aus einer anderen Epoche. Auch die akademische Viertelstunde, die selbst Kaiser und Könige tolerierten, hat heute keine Bedeutung mehr.
Apropos Toleranz: die hatte zwischen Preußens Glanz und Gloria einen sehr großen Stellenwert. Im Königshaus befürwortete man sie absolut und die Parole lautete, dass jeder nach seiner Fasson selig werden soll! Zwar bezog sich das damals auf die christliche Gesinnung, wurde aber auch auf andere Bereiche ausgedehnt.
Ob sich wohl der König Friedrich Wilhelm I im Grabe umdreht, wenn er den Verfall der preußischen Tugenden mitbekommt?