Das Schweigen der Schlemmers

Nach dem Essen sollst du rauchen oder tausend Schritte laufen – heißt es. Rauchen ist ungesund und mit einem Spaziergang nach dem Essen hapert‘s auch meistens. Schuld daran ist der innere Schweinehund, der ständig darum bemüht ist, uns seinen Willen aufzudrängen.

Feiertage und Wochenenden liebt er besonders – da schnappt er gerne zu. Und wenn die Feiertage auch noch auf ein Wochenende fallen, dann hat man keine Chance mehr, dann zwingt er uns förmlich zur Mittagsruhe. Wetten, dass es den meisten von uns so geht?

Bei den Schlemmers ist das ebenso. Er ist pensioniert, sie ist Rentnerin, beide sind das, was man rüstige Rentner nennt und beide haben Hobbys. Sie kocht gerne, er isst gerne, sie liebt Kräuter, er züchtet sie, er war Segler, sie Kombüsen-Fee, er kniffelt gerne, sie schummelt dabei, er ist Nachrichtenfreak, sie liebt Denksportaufgaben und Telenovelas. Er engagiert sich im Segelverein, sie für Flüchtlinge, er mag Katzen, sie Hunde.

Siesta mögen beide und dann wird’s still bei den Schlemmers – sie machen Mittagsschlaf – mal kürzer mal länger. Danach liest er und sie widmet sich ihren Kreuzworträtseln. Um halb vier gibt’s Kaffee und Kuchen – gibt’s bei den Schlemmers immer um diese Zeit -Ausnahmen kaum vorstellbar.

Wer was von den Schlemmers will, sollte das nicht zwischen 13 und 16 Uhr versuchen, denn da ist Ruhe im Karton, eben das Schweigen der Schlemmers. Vorher und hinterher ist vieles möglich, aber diese drei Stunden sind heilig – ihr Heiligtum. Da stört keiner, der die beiden kennt, nicht mal ihre Kinder.

Nur im November und Dezember läuft es anders bei den Schlemmers. Diese Monate stellen ihr Leben auf den Kopf. Da klingelt morgens um sieben der Wecker, Frühstück findet im Stehen statt und dann geht’s ab zur Bastelwerkstatt des Heimatvereins, wo man bereits auf sie wartet. Dort wird das querbeet im Stadtviertel gesammelte Spielzeug aufbereitet. Dreiräder, Roller, Fahrräder, Puppenwagen erhalten einen neuen Anstrich, wenn nötig neue Räder, Bremsen oder andere Notwendigkeiten. Puppen werden neu eingekleidet, Teddybären und andere Kuscheltiere gestriegelt und geschniegelt, Bälle geflickt und aufgeblasen, Karten und Spielesammlungen auf Vollständigkeit überprüft, jegliche Art von Spielzeug topfit gemacht. Selbst elektronische Spielsachen, Laptops und anderes zum Daddeln werden auf Herz und Nieren gecheckt, ihre Akkus aufgeladen oder mit neuen Batterien versehen. Es wird genäht, gehobelt, geleimt, gehämmert, gewerkelt und es wird gebacken. Plätzchen, Honigkuchen, Marzipankartoffeln, Vanillekipferl und Mandelsplitter werden in Tüten und Dosen verpackt. Spielzeug und leckeres Weihnachtsgebäck für die Flüchtlingskinder.

Spontan haben sich die flinken Hände, wie sie sich nennen, im Herbst vor einem Jahr zusammengefunden. Zunächst drei Männer und zwei Frauen, mittlerweile an die dreißig Aktive, die ganzjährig Gutes tun und ganz besonders zu Weihnachten.

Auch in diesem Jahr lassen die Schlemmers ihr gemütliches Dasein für etliche Wochen sausen, um zu helfen. Im Spätsommer machten sie sogar eine Rundreise im Auto mit Anhänger durch Deutschland zu ihren Kindern und Enkelkindern, um persönlich Ausgemustertes einzusammeln. Sie haben also das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden.

Und nun sind sie zusammen mit ihren Mitstreitern Christkind und Weihnachtsmann, Oma und Opa für die Flüchtlingskinder um die Ecke. Sie denken an ihre Kinder und Enkelkinder, sehen in die glücklichen Augen der Beschenkten und sie werden ganz still. Und da ist es wieder, das Schweigen der Schlemmers.