Als Azubi ins Kanzleramt?

„Wie wird man denn Bundeskanzler?“ fragt Bibi und schiebt die graublonden Locken mit dem großen Besen auf dem ziemlich abgetretenen Linoleumboden von rechts nach links.

„Woher soll ich das wissen! Ich bin Frisörin, habe diesen Salon knapp vierzig Jahre und so lange auch meinen Meisterbrief inne Tasche“ antwortet Lydia. Ihr Salon ist wie sie, nämlich vom alten Schlag. Hier kann man noch Dauerwelle kriegen – woanders kaum noch.

„Zu meiner Zeit wollte man nicht Bundeskanzler werden und nen Mädelsberuf war’s schon gar nicht.“

„Aber heute ist das möglich“, sagt Bibi, die seit zwei Wochen Praktikantin im Salon von Lydia ist. Oma Dora hat ihr diesen Schnupperkurs vermittelt. Die kennt Lydia seit der Schule und lässt sich ihre Haare bei ihr machen – seit eh und je übrigens. Bibi kennt Oma Dora nur mit der Bubikopf-Frisur.

„Also da musst du erstmal Chef einer Partei sein und die Partei muss dich so sehr mögen und dich zum Kanzlerkandidaten küren. Wenn du das dann bist, kannste der Öffentlichkeit zeigen, was du so auf’m Kasten hast. Dann machste Wahlkampf, geht’s quasi auf Tournee und dann wirste gewählt und schwuppdiwupp biste Kanzler!“

„Das ist alles? Mehr muss ich nicht machen?“ Bibi ist voll geflasht, stellt den Besen beiseite, setzt sich auf den Stuhl vor den Waschtisch. „Also könnte ich auch Bundeskanzler werden?“

„Ich denke schon…..aber erst fegste jetzt mal zu Ende!“

„Hört sich total einfach an. Also da google ich nachher gleich mal – vielleicht kann ich ein Praktikum oder ne Ausbildung bei Angela Merkel machen – das wär der Hammer überhaupt…!“

„Na von nem Praktikum im Kanzleramt habe ich noch niemals gehört – aber bitte, heutzutage ist ja alles möglich. Zu meiner Zeit….!“

„Deine Zeiten waren wie Oma Dorchens Zeiten! Da gab’s Frisör und Verkäuferin beim Bäcker oder im Tante-Emma-Laden, dann habt ihr geheiratet, Kinder gekriegt……“

„Ja und? Wir waren eben praktisch orientiert! Meine Kinder sind hier im Salon zwischen Waschbecken, Föhn und Lockenwickler aufgewachsen und das hat ihnen nicht geschadet!“

Bibi sitzt noch immer grübelnd auf dem Stuhl vorm Waschbecken. „Sag mal Lydia, wie sieht’s eigentlich mit dem Bundespräsidenten aus? Ob es bei dem mit ner Lehrstelle vielleicht eher hinhaust?“

„Ach Kindchen, woher soll ich das wissen! Eigentlich ist das ein Alte-Männer-Beruf – also früher, als ich und deine Oma jung waren, war das jedenfalls so. Da waren es rüstige Rentner, die diesen Job gemacht haben. Vermutlich waren die Renten damals so klein, da mussten sich die Herren noch was dazuverdienen, denke ich. Aber so genau weiß ich das nicht. Heute gibt’s auch jüngere, die Bundespräsident werden. Da war doch mal einer aus Niedersachsen, wie hieß der nochmal…….ach ja, Wolf oder so ähnlich.“

„Den Christian Wulff meinst du. Über den haben wir in der Schule geredet. Der hat’s ja nicht lange gemacht. Danach kam der alte Mann….“

„Hör mir auf mit dem! Das war doch der Typ von drüben. Erst Pastor, dann ne eigene Behörde und zu guter Letzt Bundespräsident – ziemliche Karriere für nen Zoni hat dein Opa Günni immer gesagt – doch nun ist er tot!“

„Der Bundespräsident?“

„Nee, der doch nicht! Opa Günni natürlich. Also Bibi, das musste doch wissen…..!“

„Na ja, jedenfalls würde ich gerne probeweise mal bei Frau Merkel arbeiten. Jetzt wär’s total spannend. Die macht Straßenwahlkampf habe ich heute früh auf Spiegel-online gelesen. Voll geil, oder? Hört sich an wie Straßen-Karneval, findest du nicht? Karneval mitten im Sommer! Ob die sich verkleidet?“

„Das muss sie doch gar nicht – ihre Klamotten reichen auch so. Okay, ne kleine rote Pappnase vielleicht….“

„Ey Lydia, du kannst ja echt lustig sein!“

„Wenn’s um die Merkel geht eigentlich nicht. Aber mit dem Schulz habe ich auch nichts am Hut. Der ist mir unsympathisch ohne Ende, genauso wie der Lehmann von gegenüber, der hat mir nämlich mal….“

„Man Lydia, lass stecken, interessiert mich nicht die Bohne, was du mit dem hast oder nicht! Sag mir lieber, ob du bei Oma Dora mal nen gutes Wort für mich einlegen kannst.“

„Mensch Bibi, haste was angestellt?“

„Nee, natürlich nicht, aber Oma geht doch bei Frau von Dingenskirchen putzen und da treffen sich die feinen Damen jeden Donnerstag zum Bridgespielen und die eine ist doch mit der Merkel befreundet……“

„Und was soll deine Oma da tun und überhaupt, warum redest du nicht selbst mit ihr?“

„Oma ist der Meinung, dass ich was Ordentliches lernen soll, und zwar bei anständigen Leuten. So wie bei dir eben. Aber Frisör liegt mir nun mal nicht. Bundeskanzlerin oder Präsident könnte mir gefallen – Politik sowieso. Ist doch jetzt die beste Zeit dafür, so kurz vor den Wahlen…!“

„Ist denn Bundeskanzler oder –Präsident überhaupt ein Lehrberuf? Musste da nicht vorher ne ordentliche Ausbildung machen oder studieren?“

„Aber die Merkel sagt doch immer, dass in Deutschland zu wenig Ausbildung passiert. Denn kann sie doch mit gutem Beispiel vorangehen und mich als Azubi einstellen!“

„Na ja, wenn man es mal so herum sieht – vielleicht haste Recht und deine Idee ist gar nicht so schlechte! Also wenn man mal davon ausgeht, dass du nächstes Jahr dein Abi machst und dann ne dreijährige Lehre bei Frau Merkel im Kanzleramt, dann hast du in vier Jahren ausgelernt. Na und wenn du die Ausbildung mit Bravur beendest, dann kannste in vier Jahren echt den Job von der Merkel übernehmen – die ist dann 67 und geht sicherlich in Pension. Das ist ne tolle Berufsplanung! Da werde ich doch nachher gleich mal mit deiner Oma Dora reden!“

15.08.2017