Das gute alte Steckenpferd

„Haben Sie ein Hobby?“ Mit dieser Frage überrascht der Reporter die vorbeieilenden Passanten in der Fußgängerzone. Tanzen, reiten, angeln, basteln, Gartenarbeit, wandern, Vögel beobachten, lesen, Fallschirmspringen, segeln, das Züchten von Dalmatinern, kochen, Wein sammeln, Computerspiele – jede Menge Antworten prasseln auf den Frager ein.

 Himmel, was Leute so alles machen! Beeindruckend, was der Typ mit dem Mikrofon aus seinen Gesprächspartnern rauskitzelt. Manche sind hochgradig akrobatisch unterwegs, gehen weit über die erhaltenswerte Fitness hinaus und genießen das total Riskante und Gefährliche. Schon beim Zuhören bekomme ich Muskelkater, denke an Notarzt, Krankenhausaufenthalt, Auszahlung der Lebensversicherung an die Erben und all solche Dinge.

 Hobby hieß noch vor ein paar Jahrzehnten Steckenpferd und es war eine mehr oder weniger ausgeprägte Leidenschaft. Oft einfach nur eine sinnvolle Beschäftigung für lange Winterabende. Man sammelte eben etwas. Beschriebene Postkarten, schwarzweiß Fotos von anno knips, bunte Ansichtskarten aus aller Welt mit und ohne Briefmarke, Wollreste zur Herstellung von Patchwork-Zeug, Modell-Eisenbahnen, Puppen, Keramikfrösche, Gartenzwerge, fotografierte alles und jeden für ermüdende Dia-Vorführungen mit passender Musikbegleitung von Schellack- und Venyl-Schallplatten.  

 Briefmarken sammelte Mann zum Beispiel früher mit großer Leidenschaft und hatte etliche Alben davon in der Junggesellenbude im Ikea-Regal. Die eine oder andere Besonderheit zeigte der Sammler bei Gelegenheit – oder bei entsprechendem Bedarf – dann der Dame, die er vorrangig für sich und sein Hobby begeistern wollte.

 Das junge, schüchterne Fräulein hingegen bastelte, nähte, stickte, häkelte und strickte im stillen Kämmerlein sittsam und eifrig und vernachlässigte diese Freizeitbeschäftigung auch mit zunehmendem Jahren nicht. Selbst im reifen Alter versorgte sie ihr Umfeld mit handgefertigten Mitbringsel und Überraschendem zu passender Gelegenheit – nicht immer zur Freude der Beschenkten: „Ach du Schreck, da kommt Tante Gisela! Was sie wohl heute wieder für Topflappen oder Nadelkissen im aufgebügelten Geschenkpapier anschleppt…!“

Solche Hobbys sind auch heute nicht ausgestorben, doch viele neue Varianten sind hinzugekommen. Damals galt häufig der Grundsatz: Allzu gewagter Sport ist Mord!

Heute hingegen bringt alles Sportliche erst den richtigen Kick ins Leben – egal in welchem Alter, für Männer und Frauen gleichermaßen. Der Freizeitnervenkitzel muss für viele eine absolute Herausforderung sein: höher, weiter, schneller, gefährlicher.

Andere hingegen bevorzugen eine ruhigere Gangart im Bereich Freizeit, die natürlich, öko, bio, gesund und wenn nötig auch teuer sein sollte, Hauptsache naturverbunden.

Selbst die selbstbewussten Kleinen haben ihre Vorlieben. Reitstunden und Vereinssport sind Standard, chatten, bloggen, Panini-Bilder kaufen, sammeln und tauschen sowieso. Eltern geben massiv viel Geld für die Beschäftigung des Nachwuchses aus, denn Steckenpferde stehen nicht auf der Weide und fressen bekanntlich kein Gras, das der Herrgott wachsen lässt.

Und ich? Habe weder ein Hobby, noch ein Steckenpferd, geschweige denn eine besondere Affinität zu auch nur irgendwas! Oder doch? Ich sammele nicht mal Schuhe und Handtaschen schon gar nicht. In meinen Klamotten steht nicht der Namenszug von Guido-Maria Kretschmar, Karl Lagerfeld oder Wolfgang Joop. Meine Nordic-Walking-Stöcke sind beim letzten Umzug über die Wupper gegangen und meine Häkelphase hatte ich bereits mit Mitte Dreißig.

 Im Radio spricht der Reporter jetzt mit einer Freizeitforscherin über moderne Liebhabereien und dazu gehört alles, was unter Lifestyle rangiert. Diese Variante des modernen Hobbys ist mittlerweile bei Alt und Jung ein Muss und ebenso beliebt wie der regelmäßige Besuch im Fitnessstudio. Angesagt ist auch Speed-Dating, Partnersuche via Internet, Kochkurs für Singles, Jazz-Dance mit Partner, jonglieren lernen und Kreativ-Techniken wie Origami und Töpfern sind voll im Trend. So weiß Frau Müller zu berichten – sie erforscht schließlich das Freizeitverhalten der Menschen unserer Zeit.

Speed-Dating ist scheinbar wie einkaufen unter Zeitdruck: du hetzt durch den Supermarkt, arbeitetest deinen Einkaufszettel ab und greifst zu den Sonderangeboten! Partnersuche – brauch ich nicht, hab einen; was Besseres ist sowieso nicht auf dem Markt! Kochen kann ich schon, jonglieren brauch ich nicht und Töpfern lass ich lieber, sonst stehen noch mehr Staubfänger rum und die Erben werfen es später ohnehin auf den Müll.

 Die Radiosendung ist vorbei, ich bin mit dem Kräuterhacken, Spargel- und Kartoffelschälen durch, aber auch mit der Erkenntnis, dass ich wohl der einzige Mensch bin, der kein Hobby hat! Na dann ist es eben so….

Jetzt mach ich erstmal Pause, widme mich dem täglichen Tageszeitungsrätsel und vielleicht schreibe ich ein paar Zeilen über das heutige Radiothema.

 Und da war dann noch der Radiomann im Studio mit folgendem Fazit: Kenner der Szene behaupten, dass nicht der Mensch sich das Hobby aussucht, sondern das Hobby sucht den Menschen aus.

Ob das wohl stimmt und wenn ja, woran merkt man das? Klopft es an die Tür oder wacht man etwa nach dem Mittagsschlaf neben seinem Steckenpferd auf?

 02.07.2018