Opa Franz lebte im eigenen Haus, bewirtschaftete seinen knapp 2.000 Quadratmeter großen Garten. Zwischen Lupinen und Obstbäumen stand seine Werkstatt, die die Ausmaße unser Wohnung hatte und war sein kreativer Wirkungsort. Dort verdiente er sein Geld, beriet Kunden, beschlug die Hufe der Pferde, schmiedete, hämmerte und tat all das, was ein Schlossermeister so tut. Gemeinsam mit Papa entwarf und baute er meinen Kaufmannsladen und mein Puppenhaus inklusive aller Möbel.
In der Weihnachtszeit war bei ihm in der Werkstatt der Teufel los. Jeder wollte noch vor dem Fest was von ihm. Da mussten Geflügelscheren und Messer noch den richtig scharfen Schliff bekommen, das Trittbrett der Nähmaschine erneuert werden, genauso wie das defekte Gartentor.
Opa Franz hielt Hühner und Kaninchen, denen es zu den Feiertagen an den Kragen ging. Seine Nachbarin, die hübsche Witwe Bärbel hingegen züchtete Enten und Gänse. Das war eine optimale Tausch-Partnerschaft und unsere Familie hatte daher an den Feiertagen schmackhafte und sehr abwechslungsreiche Braten auf den Tellern. Der Garten lieferte Rosen-, Grün- und Rotkohl frei Haus, Kartoffeln sowieso und vieles andere mehr.
Sein Haus war immer pikobello sauber und aufgeräumt, obwohl diese Tätigkeiten nicht zu seinen positiven Eigenschaften gehörten. Aber die Damen aus der Nachbarschaft rissen sich förmlich darum, ihm in jeglicher Form zur Hand zu gehen. Das allerdings gefiel meiner Tante Trude nicht, denn eigentlich waren Opa und sie miteinander verbandelt. Allerdings gefiel diese Liaison der gesamten Familie kein Stück, und zwar nicht alleine wegen der dubiosen Verwandtschaftsgrade.
Falls die Zwei eins geworden wären, dann wäre Mamas Schwiegervater gleichzeitig ihr Schwager und ihre Schwester auch ihre Schwiegermutter. Und hätte die Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler nicht bereits das Zeitliche gesegnet, so hätte sie jede Menge Stoff gehabt, prosaisch darüber zu berichten.
Mein Opa war ein begnadeter Koch, bei dem es schmeckte, bei ihm brutzelte oder köchelte immer irgendwas Leckeres in Topf und Pfanne. Er kochte deftig und kalorienarm hatte für ihn nach den vielen Jahren der massiven Entbehrungen keine Bedeutung und niemals ließ er was anbrennen.
Vor Feiertagen brachte er den Festtagsbraten persönlich zu meiner Mutter, selbstverständlich mit den entsprechenden Ratschlägen hinsichtlich der richtigen Zubereitung. Ihr ging das tierisch auf den Zünder und meistens herrschte danach dicke Luft. Sie drohte regelmäßig mit dem Boykott sämtlicher Küchenarbeiten, wenn er nicht die Klappe hält. Ansonsten könne er die Kocherei zum Fest selbst übernehmen, und zwar mit allem Drum und Dran oder gerne den Feierlichkeiten fernbleiben.
Nach dieser Ansprache verschwand er meistens wütend und türenknallend und tauchte ein paar Tage später mit Blumen, Konfekt oder Bohnenkaffee wie rein zufällig wieder auf. Eine Entschuldigung kam ihm nicht über die Lippen, aber für die bevorstehenden Feiertage war er der liebste Schwiegervater, den meine Mutter sich wünschen konnte.
Immer vor Feiertagen tauchte Trude aber noch bei ihm auf. Sie sorgte regelmäßig für süße Desserts, Leckeres mit Schokolade und Früchten und dazu brauchte sie Eingewecktes Obst von Franz aus dem Garten. Natürlich kam sie ohne Anmeldung und vorherige zeitliche Verabredungen hätten bei ihrer Auffassung von Pünktlichkeit auch zu nichts geführt. Also stand sie plötzlich und völlig unerwartet vor seiner Tür! Wenn er dann schon Besuch hatte, führte das zu unsäglichen Peinlichkeiten und wortgewaltigen Auseinandersetzungen, von denen nicht nur die Nachbarn was hatten.
Diese Stimmung zwischen den Streithähnen hielt meisten an und selbst wenn man sie inständig um Waffenstillstand bat, hatte sich das nach dem ersten Eierlikör oder dem ersten Glas selbstgemachten Wein erledigt. Dann kannten die Zwei weder Freund noch Feind und Familie schon gar nicht und nicht selten passierte es, dass mein Vater alle beide kurzerhand rausschmiss.
Pünktlich zum Mittagessen am nächsten Tag standen dann beide mit glänzenden Augen, sichtlich versöhnt und schäkernd wieder auf der Matte und die dramatischen Vorgänge vom Vorabend waren Geschichte – zumindest bis zum nächsten Mal.