Johnny und der Zuckerguss
Joachim ist der uneheliche Sohn von Tante Martha. Den brachte sie mit in die Ehe mit Mamas Bruder Richard – anstelle einer standesgemäßen Aussteuer sozusagen. Seinen Vater kannte keiner und man tuschelte, dass er das Ergebnis einer Tanzpause ist. Trotzdem wurde er von Richard adoptiert – das gehörte sich so, selbst wenn die Familie noch so sehr dagegen protestierte!
Schwofen war Joachims Ding und wenn Musik erklang, war er der Erste auf dem Tanzboden und der Letzte, der ihn räumte. Auf dem lernte er Ingrid kennen, eine geborene Last, die selbige mit ihm nach der Hochzeit hatte. Ingrid hatte rotblonde Locken, eine Figur mit vielen attraktiven Kurven und verdiente als Schneiderin in der britischen Kaserne gutes Geld.
Achim arbeitete in der Schultheiß-Brauerei als Böttcher und seine Hobbys waren Tanzen, Flirten und nochmals Tanzen und Flirten. Oma Else behauptete immer, dass er seinen Hosenschlitz nicht zulassen könne und ich hatte damals keinen blassen Schimmer, was sie damit meinte.
Ingrid und Achim lebten in ihrer 3-Zimmer-Neubau-Wohnung mit Johnny, einem schwarzen Riesen-Königspudel, Hansi, dem Wellensittich in Trabi-blau und Käfighaltung und Jürgen, ihrem gemeinsamen Sprössling, und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Der Pudel hatte ein Gemüt wie ein Schaukelpferd und Hansi konnte Mama und Papa sagen. Jürgen war ein wenig doof, aber trotzdem ganz okay und mit ihm konnte man viel Blödsinn machen.
Die Zusammentreffen der beiden Familien waren immer sehr lustig, feuchtfröhlich und dauerten meist bis in die Puppen. Es wurde gegessen, gelacht, gesungen, getanzt und wir Kinder freuten uns sehr, ohne großartige Beobachtung lange aufbleiben zu dürfen.
Meine Eltern und die Zwei konnten gut miteinander und gegenseitige Besuche waren ein festes Ritual, selbst in der beschaulichen Adventszeit.
Toast Hawaii war Ingrids Spezialität, ein Käse-Igel oder Hackepeter-Brötchen mit Cornichons durften selbstverständlich für zwischendurch nicht fehlen. Nach dem Essen ging bei unseren alten Herrschaften die Post so richtig ab und von Walzer über Tango und Foxtrott wurde so ziemlich alles getanzt, was das Radioprogramm im Angebot hatte. Und auf die flotte Tanzmusik von RIAS BERLIN konnte man sich echt verlassen, selbst in der Adventszeit in der Nacht von Samstag auf Sonntag.
Jürgen und ich spielten Mensch ärgere dich nicht, Monopoly, schwarzer Peter und wenn Johnny pinkeln musste, gingen wir mit ihm gerne auch mal Gassi. Während wir nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten suchten, feierten unsere Eltern ausgelassen, wie Teenager.
Einmal beschlossen wir, Johnny einen neuen Haarschnitt zu verpassen. Die Puschel am Kopf, den Füßen und am Schwanz erschien uns irgendwie zu langweilig und somit griffen wir zur Schere. Wir schnitten und kämmten, machten ihn nass, föhnten ihm das Fell und gestalteten ihn total um, so wie es sein Hundefrisör niemals getan hätte. Feinheiten glichen wir mit Achims Rasierapparat aus und seine Barthaare schnitten wir mit der Nagelschere, um ihn auch ja nicht zu verletzen.
Abschließend verrührten wir noch Puderzucker mit Wasser und färbten ihm partiell ein paar weiße Strähnen in sein Fell. Dieses Verfahren kannte ich von meiner Mama. Das tat sie immer, wenn sie Plätzchen verzieren wollte und auf dieser Glasur hielten dann sogar bunte Liebesperlen. Bei Johnny funktionierte das genauso gut. Es machte uns rundum riesigen Spaß, ihm ein neues Outfit zu verpassen und still hielt das brave Hundchen auch.
Irgendwann fielen wir hundemüde in Jürgens Bett und Johnny taperte ebenfalls völlig echauffiert in sein Körbchen und am Ende der Party fuhren meine Eltern mit mir im Taxi nach Hause.
Am Sonntagnachmittag, pünktlich zur Kaffeezeit, klingelte es an der Tür, obwohl dieser Adventssonntag eigentlich ein besuchsfreier war.
Opa Ferdinand öffnete und wir hörten ihn sagen: „Oh, habt ihr einen neuen Köter? Ist der andere gestorben? Na ja, mir erzählt ja keiner was!“