Seine Majestät feiert – Opa auch

Die Weihnachtstage vergingen ziemlich schnell, meist mit viel Schnee draußen und dicker Luft drinnen. So richtig schön war’s erst wieder, als der Teil der Familie, die nicht konstant zum Haushalt meiner Eltern gehörte, auch den Rückzug angetreten hatte. Jetzt hatten wir erstmal vier Wochen Ruhe vor ihnen, bis das nächste Fest ins Haus stand.

Das war dann am 27. Januar. An diesem Tag hatte sowohl Opa Ferdinand als auch Kaiser Wilhelm II. Geburtstag. Opa feierte ihn noch, der andere hatte mittlerweile seit etlichen Jahren das Zeitliche gesegnet. Opa kannte den anderen Jubilar noch aus eigener Anschauung, weil der früher von Zeit zu Zeit auf seinem edlen Ross durch Berlin ritt und seinen Untertanen jovial zuwinkte.

Zu Opa Geburtstag erschienen immer sehr viele Gratulanten. Sein kleiner Bruder mit Frau, alle seine Kinder mit Anhang kamen, um mit ihrem Vater auf sein Wohl und seine Kosten anzustoßen. Seine jüngste Tochter Lena sorgte an diesem Tag dafür, dass alle Gäste Essen und Trinken bekamen, sich wohlfühlten und nach Herzenslust mit Opa feiern konnten.

Bereits frühmorgens trudelten die ersten durstigen Feieraspiranten ein und meistens waren das auch die letzten, die von meinem Papa spätabends unter Einsatz all seiner Kräfte aus der Wohnung bugsiert wurden.

Es wurde gefeiert, gegessen, getrunken, gesungen, Karten gespielt, des längst verstorbenen Monarchen gedacht, seine Hymnen sangesfreudig und textsicher intoniert und in Erinnerungen geschwelgt, bis Opa Ferdinand völlig erschöpft in sein Bett gebracht werden musste. Das war spätestens zur Kaffeezeit, wenn Lena den leckeren Käse- und Streuselkuchen mit Schlagsahne auf den Tisch stellte.

Je später der Abend, desto mehr Gäste kamen, und jetzt die, die hungrig und durstig von der Arbeit kamen, eigentlich Opa Ferdinand zu seinem Ehrentag beglückwünschen wollten, aber nunmehr nur mit Kartoffelsalat und Würstchen plus Getränk auch sehr zufrieden waren. Sie freuten sich allemal, Anverwandte, Freunde und Bekannte zu treffen und festzustellen, wie schade es doch ist, dass Opa Ferdinand nur einmal im Jahr Geburtstag hat. Keiner störte sich daran, dass der alte Mann schon tief und selig schlief. Geburtstagsfeier ist nun mal Geburtstagsfeier! Nach Mitternacht war dann auch diese Party vorbei, es sei denn, der nächste Tag war arbeitsfrei, dann blieb manch einer gerne schon mal ein Stündchen länger.

Meine Mama Lena war jedenfalls den ganzen nächsten Tag damit beschäftigt, wieder klar Schiff zu machen. In solchen Momenten war sie ihren Geschwistern nicht gerade liebevoll zugetan und fragte sich meist, warum die nicht mal den Geburtstag des Vaters ausrichten und sich immer nur an den gedeckten Tisch setzen.

Und wenn Opa Ferdinand sie dann auch noch mittags Punkt zwölf daran erinnerte, dass er doch viel Wert auf Pünktlichkeit gerade beim Mittagsessen legte, dann brachte sie das schon mal wutschnaubend auf die allerhöchste Palme!