Muckefuck und Sahneschnittchen

Mal Sonne, mal Regen, meist ungemütlich. Genau richtig, um sich in geselliger Runde gut zu unterhalten.

Vorm Gemeindesaal staut es sich. Fast so ein Andrang wie bei den Fridays for Future-Demos der Kids. Hier sind’s aber die Alten. Ü60 wäre geflunkert. Ü80 unhöflich. Ü70 trifft dieses Get-together vermutlich am besten.

Der Eingang zum Veranstaltungsraum ist gleich neben dem Zugang zur Kita, die aber heute geschlossen ist. Draußen stürmt der Wind – nach drinnen stürmen die Senioren, denn das Motto des Nachmittags lautet: Kaffee und Kuchen für Leib und Seele und Shanty-Musike auf die Ohren!

Man kennt, begrüßt und umarmt sich, nimmt an einem der gedeckten Tische Platz und hält einen weiteren Stuhl vorsorglich frei; schließlich weiß man nicht, wer noch so alles zum geselligen Beisammensein erscheint.

„Na, sind Sie denn schon wieder gesund, Frau Petersen? Waren Sie nicht im Krankenhaus?“

„Hallo Frau Faber, was machen Sie denn hier? Sonst trifft man Sie doch nie in der Kirche…!“ Herr Neumann fährt mit seinem Rollator einigen Leuten in die Hacken, bevor er an einem der Tische Platz nimmt und sein Gefährt mitten im Weg stehen lässt.

Mittenmang schüttelt der Gemeindepastor eifrig die Hände seiner ergrauten Schäfchen, während die Logger’s Men Noten samt Ständer und dann sich in Position bringen. Ein paar Worte zur Begrüßung vom Hausherrn, dann vom obersten Sängerknaben und schon geht’s a cappella los!

Shantys sind das Salz in der Seemannslieder-Suppe sagen Experten. Andere finden diesen Vergleich voll daneben. Shantys haben mit Liedern von Heino, Freddy Quinn, Hans Albers, Lale Andersen, den Jungs von Santiano und anderen Wind-Wellen-Fernweh-Gesangs-Interpreten so viel gemeinsam am Hut, wie die wunderschöne Seejungfrau mit dem gruseligen Tiefsee-Monster.

Das harte Arbeitsleben der Shanty-singenden Matrosen auf all den Schiffen, die in längst vergangenen Zeiten die Weltmeere umrundeten, haben mit den sehnsuchtsvoll-schmalzigen Seemannsliedern der Schönwetterkapitäne kein bisschen zu tun, beteuern ihre Fans. Shantys sind keine Ohrwürmer, keine zeitlosen Oldies, keine Gassenhauer, keine Ballermann-Brüller. Sie sprechen ihre eigene Sprache – meist traurig, selten fröhlich, aber immer erzählen sie vom realistischen Leben an Bord der Schiffe unserer Vorfahren.

Im Saal wird’s unruhig. Stühle scharren, es wird getuschelt und geflüstert, stillsitzen fällt schwer, wenn das Kuchenbüffet aufgebaut wird und Kaffeeduft durch den Raum wabert. Die Sangesbrüder brauchen ebenfalls ne Pause. Sie müssen was trinken, denn singen macht durstig und heiser.

Frau Schneider hat eine Schwarzwälder-Kirsch-Torte mitgebracht. Bereits morgens um sechs hat sie mit der Zubereitung begonnen; braucht schließlich alles seine Zeit, verkündet sie.

Herr Krause hingegen hat den Apfelkuchen eins-fix-drei und so ziemlich mit links gebacken, erzählt er beiläufig. Die Damen ringsherum beäugen ihn etwas scheel und ihre skeptischen Blicke versprechen, seinen Kuchen besonders auf den Prüfstand zu stellen.

„Wann können wir denn nu was essen?“ fragt der großgewachsene alte Silberrücken seine Nachbarin. „Nun warte es doch mal ab, wirst schon nicht verhungern“ zischt die zurück.

„Früher konnte man bei Seemannsmusik schunkeln, mitsingen und sogar schwofen. Darf man heute nicht mehr…“ „Nee Gerda, ham wir bei Schanties nie nich gemacht! Verwechselste mit andre Lieder. Uff so eenem Logger ham die früher ooch nich geschunkelt!“ „Na wenn du das sagst Willi, dann will ich’s mal glauben!“

Endlich! Die Sängerknaben machen Pause, der Pastor eröffnet das Kuchenbüffet und die Gäste stürmen es.

„Hermann, geh jetzt bloß nicht zum Klo! Hol dir erst Kuchen mit Sahne – sonst ist er alle! Pinkeln kannste später immer noch!“

„Bring mir mal nen Butterkuchen mit!“

Butterkuchen is nicht mehr, ruft jemand. Auch nicht mehr in Reserve.

„So ein Mist! Butterkuchen ist mein Lieblingskuchen!“

„Himmel noch mal, da sind so viele andere Sorten – wirst doch mal was Anderes essen können, außer Butterkuchen…!“

„Aber, wenn doch Butterkuchen mein Lieblingskuchen ist!“

„Hör doch mal auf zu meckern………hallo Frau Müller, das ist aber eine Überraschung. Ist das Ihre Schwester?“

„Nee, das ist meine Kusine, die ist zu Besuch. Kaffeetrinken hier ist ne gute Sache – ich wohn ja gleich nebenan!“

„Guten Appetit, Frau Krüger. Ich denk, Sie haben es so mit dem Zucker und dürfen keinen Kuchen…!“

Die heiße Schlacht am Kuchenbüffet ist in vollem Gange. Tellergeklapper, Drängeleien, Kleckereien – eben alles, was am Büffet so machbar ist. In der einen Hand die Gehhilfe, in der anderen den rappelvollen Kuchenteller und zwischendrin die Logger’s Men, die den Leckereien auch nicht abgeneigt sind.

Eine halbe Stunde später ist so ziemlich alles aufgefuttert und leergeputzt, die Sängerknaben haben ihre Kehlen geschmiert und die Ü70-Gäste warten auf den zweiten Teil der Shanty-Darbietungen.

Gutes Essen macht müde, zuckerhaltiges noch mehr, die schlechte Luft im Raum trägt auch dazu bei und dem einen oder anderen Zuhörer fallen da schon mal die Augen zu. Herr Pastor hat sich aus dem Staub gemacht – vielleicht für ein kleines Nickerchen, vielleicht zum Arbeiten ins Büro – man weiß es nicht.

Die Sangesbrüder schmettern unaufhaltsam weiter ihre Lieder, in dieser Runde sogar mit instrumentaler Unterstützung. Zwischen zwei Songs bringen sie noch ihren eigenen Werbeblock unter die Anwesenden und dann ist auch schon der letzte Ton Geschichte – zumindest für heute im Gemeindesaal.

27.03.2019