„Gib mir sofort dein Telefon! Kann ich mal an deinen Laptop? Schnell, schnell, ich kann keine Zeit verlieren – es ist wahnsinnig dringend!“
Was ist denn bloß mit unserem Tigi los? Ob der mal wieder was ausgefressen hat? Auf jeden Fall läuft der nicht ganz rund und so aktiv habe ich ihn lange nicht gesehen. Sonst ist er der Erfinder der Faulenzerei!
„Schmeiß mal den Fernseher an“ ruft Tigi mir zu „oder das Radio! Alles ist total wichtig, sag ich dir!“
„Was ist denn so wichtig?“ grätsche ich mal dazwischen. „Wo kommst du überhaupt her? Hab dich den ganzen Tag über nicht gesehen. Warst du unterwegs oder hast du so lange gepennt, bis dich nun ne Tarantel gestochen oder ein wilder Affe gebissen hat?“
Na und dann sehe ich es schon: Tigi im Fernsehen! Weshalb das denn? Journalisten, Kameras und ganz viele Mikrofone umringen ihn. Die Journalisten reden laut, fragen viel und alles durcheinander, verstehen kann ich kaum was. Doch dann wird ein Foto eingeblendet von einem Baby-Tiger.
„Wer ist das denn – kennst du das kleine Wollknäuel mit den Kulleraugen?“ frage ich mein gestreiftes Haustier. Der hört mich aber gar nicht, der völlig durch den Wind.
„Sei doch mal stille“ schnauzt Tigi „ich erzähl gleich die ganze Geschichte! Doch nun will ich erst mal sehen. Schließlich bin ich nicht alle Tage im Fernsehen!“
Also Tigis Tante Elfriede – eine Tigerin, die beim Zirkus arbeitet – hat während eines Gastspiels in Brandenburg erfahren, dass in Bernau ein Tigerbaby ausgesetzt wurde. Einfach so vor die Türe einer Tierärztin. Ohne Zettel, ohne Hinweis auf seine Mami, im Koma, halb verdurstet und in einem kleinen Körbchen. Also hat Elfriede ihrem Arbeitgeber auf den Zahn gefühlt, aber der wollte weder helfen noch die Zirkus-Tournee unterbrechen. Deshalb hat Tante Elfriede ihren Neffen Tigi informiert.
Diese Geschichte erzählt Tigi gerade in die Kameras und präsentiert sich stolz wie Oskar.
„Hmmm, was hast du dann gemacht? Nach Bernau bist du doch nicht gefahren, warst doch die ganzen Tage hier und hast faul rumgelungert!“
„Stimmt“ sagt Tigi. „Aber ich hab dann eben einen Kollegen bei der Bremer Zeitung….“
„Wie jetzt, Kollegen bei der Zeitung? Seit wann kennst du denn da jemand? Und wen kennst du da?“
„Man, sei doch nicht so pingelig! Natürlich kenne ich da in Wirklichkeit niemanden persönlich! Aber musste doch nicht gleich wieder so ausposaunen! Wolfi hat aber mal von Monika und Jürgen erzählt. Na und die habe ich angerufen und dem Jürgen habe ich verklickert, dass ich eine Riesenstory für sein Wurschtblatt habe. Na und dann haben wir verhandelt.“
„Verhandelt? Haste etwa Geld verlangt? Oh Tigi, du alter Raffzahn! Wie kannst du aus so einer traurigen Nummer Bares schlagen – hast du denn kein bisschen Anstand unter deinem dicken Fell? Sowas haste jedenfalls nicht von uns gelernt! Da wird dir Wolfi bestimmt noch die Leviten lesen, sage ich dir! Wie viel Knete haste denn abgestaubt?“
„Ach, nicht der Rede wert – aber darüber möchte ich nicht reden.
Kann ich dich und Wolfi nicht gelegentlich mal zum Eis einladen?“
„Tigi, jetzt ist aber genug!“
Tigi zappt mit der Fernbedienung und bei irgendeinem Privatsender steht unser ausgewachsener Vierbeiner wieder voll in Positur und redet über die traurige Tiger-Baby-Geschichte. Traurig und mitfühlend klingt er, aber auch stolz wie Bolle und selbstverliebt. Er ist immerhin der große Retter des kleinen elternlosen Fellbündels in Bernau. Davon ist er felsenfest überzeugt und genau deshalb ist er – zumindest heute – der Medienheld mit einer stattlichen Summe im Portemonnaie.